Dankbar für dieses Glück

Nein, es ist natürlich kein Glück, an Krebs zu erkranken. Da gibt es auch nichts zu beschönigen. Zu traurig ist der Tod und zu anstrengend die Nebenwirkungen der jeweiligen Therapie.

Aber das ist nur ein Teil des Bildes. Der andere Teil ist einer derjenige, den ich in diesem Blog immer wieder versuche zu greifen. Es geschehen Dingt, für die die niederschmetternde Diagnose eben gerade notwendig ist. Anders gesagt: Neben all dem Negativen gibt es eben auch eine Mensch Positives.

Von meiner Mutter habe ich diesen Zusammenhang in einem schönen (leicht abgewandeltem) Sprüchlein gehört;

Der dunkle Schatten stammt von einem hellen Licht.

Und heute geht es um die hellen Seiten meiner aktuellen Situation. Da kommt bei mir große Dankbarkeit auf. Denn es hätte auch so anders kommen können. Ist es aber nicht.

Es beginnt mit meiner Partnerin. Waren wir bei der Diagnose im Februar 2023 noch ein Paar ohne Trauschein, hat Jule mit viel Energie zügig dafür gesorgt, dass wir auch offiziell Mann und Frau sind. Sicherlich zunächst aus praktischen Erwägungen heraus, aber ich spüre bei ihr die tiefe Bereitschaft, die Sache als unzertrennliches Team anzugehen und durchzustehen.

Frisch verheiratet im Frühjahr 2023. Die Ringe sind vom Juwelier auf Amrum, wie man unschwer am Sandmuster erkennt.

Ich bewundere Jule für ihre Reaktion. Zunächst die Reaktion auf die Diagnose selbst; Sie hat sich viel schneller darauf eingestellt und überlegt, was nun zu tun sei als ich selbst. Das entlastet enorm und gibt mir ein wohliges Gefühl der Geborgenheit. Da ist die Hochzeit ein Beispiel.

Andere Bespiele sind das Finden der so kompetenten HOPE-Praxis in Eppendorf, wo wir kurz nach der Entlassung aus dem Marienkrankenhaus schon einen Vorstellungstermin und das Erstgespräch hatten. Sie hat mich dorthin geführt. Oder der Kontakt zu meinem Psycho-Onkologen Johannes Jakob von der Stiftung Phoenikks. Seit eineinhalb Jahren schon profitiere ich von unseren regelmäßigen Sessions. Jule hat das in die Wege geleitet. Es ist dieser unbedingte Wille, gute Lösungen zu finden, von denen ich profitiere, der mich spüren lässt, wie sehr sie Anteil nimmt, mich damit entlastet und leicht fühlen lässt.

Hand in Hand auf Helgoland, ähem, Amrum mit Jule.

Und dabei lässt sie mich. Das ist das eigentlich Erstaunliche. Als Krebsi zeigen sich bei mit mitunter merkwürdige Phänomene: Da wäre das Motorradfahren, das ich im Frühsommer 2023 wiederentdeckt habe. Sie lehnt es für sich ab, akzeptiert aber ohne Misstöne, dass es mir offenbar wichtig ist. Oder meine manchmal merkwürdigen lukullischen Sehnsüchte. Sie lächelt, schüttelt den Kopf, aber immer liebevoll. Sie lässt mich meine durch Krebs angetriebenen Macken ausleben.

Und sie hält bravourös die Balance ein zwischen Ernst nehmen auch in Alltagsdingen einerseits und der gefühlvollen Anteil- und Rücksichtnahme andererseits.

In einem anderen Beitrag hatte ich beschrieben, wie sehr eben auch die mittelbar Betroffenen leiden: https://www.memorista.de/blog/jedes-leid-ist-gleich-schwer Das trifft auf sie natürlich in besonderem Maß zu. Von anderen Krebspatienten lese ich, dass die Partnerin oder der Partner sich trennen musste, um selbst nicht vor die Hunde zu gehen. Das bewältigt Jule auf eine sehr beeindruckende Art und Weise. Sie ist einfach für mich da! Was für ein Glück!

Es ist daneben auch ihre Rolle als Mutter: Was ist die für alle Beteiligten beste Reaktion in dieser schnell überfordernden Siuation? Genau so, wie sie es lebt. Sie bietet nicht nur mir einen Freiraum zum Leben und Mich-Sammeln, sondern vor allem für unseren Sohn Matti (10). Sie ist neben ihrer beruflichen Doppelbelastung aus Schule und Politik ihm eine große und wichtige Stütze in diesen so unsicheren Monaten. Das kann ich ihr gar nicht hoch genug anrechnen.

Dankbar bin ich auch für meinen Sohn Matti. Natürlich leidet er und vermisst seinen aktiven Papa, mit dem er toben und Fußball spielen kann. Aber trotz seiner Kindheit ist er in der Lage, die Situation mit einer gewissen Pragmatik zu nehmen. Neulich sagte er sehr klug, dass er nicht unter meiner Krebserkrankung leide, weil er einfach versuche, nicht immer daran zu denken. Das hört sich vielleicht nach Verdrängung an, aber es ist ein ganz wichtiger Schritt, um den Fokus auf die Gegenwart zu lenken. Nicht die Zukunft, die vermeintlich düstere Zukunft, sollte unsere Gegenwart prägen, sondern eben die Gegenwart, der Augenblick, selbst, das Jetzt. Und ich bin dankbar dafür, dass mein Sohn sich dem widmet.

Matti schließt mich liebevoll in die Arme, nicht in Verzweiflung und Trauer, sondern mit überschießendem Gefühl jetzt.

Ein Geschenk, solch einen Sohn zu haben.

Denn daneben ist er es ja auch, der mir eine gewisse natürliche Disziplin abverlangt. Er hat ein Recht darauf, seinen gegenwärtigen Vater im Alltag zu erleben. Das wiederum nötigt mir Tagesrhythmus und Struktur ab. Wer schonmal aller sonstiger Verpflichtungen, vor allem beruflicher Art, enthoben war, weiß, wovon ich spreche. Ich hatte im Mai ein Wochenende, an dem es mir für die geplante Wochenendtour nicht gut genug ging und ich zu Hause blieb. Und ich merkte, wie sich eine zeitliche Beliebigkeit bei mir breit machte. Für einen Moment ganz erfrischend, fing ich nach einem Tag an, darunter zu leider, dass es keinen familiären Halt gab, Das schafft Matti mit seiner überschießend fröhlichen Art im Handumdrehen. Danke!

Was für ein Glück, mit meiner Familie zusammen zu sein, wie hier in Vegivane zwischen Milano und LaSpezia.

Ich habe bis zur Diagnose fast fünf Jahre bei Urbanet als Geschäftsführer gearbeitet. Und es ist alles andere als verständlich, dass ein Unternehmen, in diesem Fall die Gesellschafter, sich verantwortlich fühlt und entlasten möchte.

Bezeichnend war das erste Gespräch über die neue Situation nach der Diagnose. Ohne langes Verhandeln gingen sie – ich meine sogar: gerne – auf meinen Vorschlag ein, die Frist, innerhalb derer des Unternehmen im Krankheitsfall das volle Gehalt zahlt, einfach zu verdoppeln. Das hat mir die ganze finanzielle Situation enorm einfach gemacht. Und ich mag mir nicht vorstellen, wie Betroffene damit umgehen müssen, vom Arbeitgeber im Stich gelassen zu werden und womöglich sogar als Alleinverdiener/in einer Familie auszufallen. Das ist nicht, was ein Erkrankter braucht. Das Gegenteil ist der Fall.

Und so ist es bei mir gewesen. Die finanziellen Themen waren irrelevant, weil sie großzügig geregelt waren. Dank Urbanet!

Und großen Dank verspüre ich auch beim Umgang mit meiner Familie und engen Freunden. Sie nehmen liebevoll Anteil. Sie geben mir gleichzeitig das Gefühl, ihnen selbst auch etwas geben zu können. Vor allem die Gespräch mit meiner Mutter Karen genieße ich sehr, weil wir uns durch die Diagnose in noch ähnlicherer Situation befinden und viele Themen zu besprechen haben.

Daneben gibt einen weiteren Freunds- und Verwandtenkreis, den ich eigentlich erreichen möchte mit diesem Blog: Sie sollen die Möglichkeit erhalten, sich tiefer und umfangreicher mit mir zu beschäftigen, ohne dass wir uns zwangsläufig persönlich treffen müssen. Natürlich ist die persönliche Begegnung intensiver, aber ich fürchte, aufgrund von schwindender nergie einerseits und so wichtigen Vorhaben wie Bücher schreiben für Matti andererseits, nicht mehr allen gerechte werden zu können. Dennoch freut es mich sehr, wenn mich nach meinem etwas übergriffigen Eintragen in die Newsletter-Empfängerlisten persönliche Nachrichten von ebendiesen Menschen erreichen. So habe ich schon viel positives Feedback erhalten, was mich in meinem Und natürlich bestätigt. Danke, danke, danke!

Schließlich danke ich dem Großen und Ganzen. Ist es Gott? Oder Mutter Natur? Ist es totaler Zufall. Ich meine, die Möglichkeit, die wahre Schönheit des Lebens in der ganzen Tiefe überhaupt erstmal wahrzunehmen, dann zu reflektieren und daraus solch eine Energie zu ziehen. Was könnte das anderes als Dankbarkeit hervorrufen. Ich fühle mich sehr privilegiert? Danke, liebes Leben, dafür!

Wenn schon solch eine Diagnose, dann in einem Umfeld, wie ich es erleben darf. Ich führe ein erfülltes Leben und bin sehr zufrieden.

Björn, voller Dankbarkeit

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Braucht das Ich Beziehungen?

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Mitleid oder Alltag?