Mit sich befreundet sein

Wie entstand eigentlich der Name „memorista” für diesen Blog? Die Geschichte geht folgendermaßen: Ich hatte nach vielen Jahren im Marketing das Gefühl, meine Lust am Schreiben noch irgendwie anders einsetzen zu wollen. Mir kam die Idee, Memoiren zu schreiben. Aber nicht solche Memoiren, die von reichen Promis in Auftrag gegeben werden, um sich ein kleines Denkmal setzen zu lassen, sondern Memoiren im Kleinen, für den gewöhnlichen Mann und die gewöhnliche Frau.

Es ging mir darum, für kleines Budget eine ganz persönliche Biografie erstellen lassen zu können, mit der er oder sie den Nachkommen einen intimen Überblick über den eigenen Lebensweg hinterlassen konnte. Es sollte unter 1.000 Euro losgehen und mit digitalen Mitteln von der Aufnahme über die Verschriftlichung bis hin zum Formatieren, Lektorieren und Druck sehr effizient ablaufen.

Insgesamt ein spannendes Vorhaben, und wer mich kennt, der/die weiß, dass ich mich begeistert zunächst um weniger wichtige Aspekte statt auf entsprechende Akquise konzentriert habe. Ich polierte meinen Smart, erstellt Visitenkarten, Flyer und natürlich eine Website. Und vor allem ersann ich einen guten Namen und ließ ihn markenrechtlich schützen. Memorista in Anlehnung an einen Meister-Café-Macher fand ich gut.

Bekanntermaßen habe ich mit dem usprünglichen Vorhaben nicht wirklich performt. Aber als es nun darum ging, einen Blog für meine Reise zu erstellen, dachte ich, wie passend Name und alles sei. Daher memorista.de.

Damals zu Beging des Memoirenprojekts hatte ich auch einige Testprojekte, unter anderem führte ich lange Gespräche mit dem Vater meines lieben Freundes Martin. Jahrgang 1922 hatte er so unfassbar viel erlebt in den wechselvollen Jahren seit seiner Jugend, dass wir uns in Berlin zu mehreren Sessions verabredet hatten. Und nun komme ich endlich zum Punkt: Er geriet wie so viele deutsche Soldaten im zweiten Weltkrieg in russische Gefangenschaft. Beim Erzählen merkte ich, dass es ihm schwerfiel, die Details dieser Jahre offen zu legen. Aber es braucht wenig Phantasie, um sich auszumalen, dass diese Zeit in russischer Kriegsgefangenschaft eine zerstörerische Grenzerfahrung gewesen sein muss.

Er hat es überlebt. Und auf die Frage, wie das aus seiner Sicht möglich war, sagte er einen Satz, der mir im Gedächtnis blieb:

„Ich war immer mit mir befreundet. Das half mir.“

Was für ein schöner Gedanke, fand ich. Mit sich befreundet sein das klingt liebevoll sich selbst gegenüber. Nicht dumpfer Narzissmus, keine übersteigerte Selbstliebe oder gar Egozentrik. Nein, ein liebevoll entspanntes Verhältnis zu sich selbst,

In diesen Wochen meiner Reise durch die Krebserkrankung habe ich ähnliche Gefühle: Ich mag mich, ich bin gerne mit mir, ich bin mit mir befreundet.

Bin ich mein Freund? Wer ist mit wem befreundet?

Und nun lese ich von Tiziano Terzani das Buch „Noch eine Runde auf dem Karussell”, vom Leben und Sterben. Terzani war lange Spiegel-Korrespondent im Fernen Osten und ein Grenzgänger zwischen westlicher Prägung und asiatischer Inspiration. Sein 700-Seiten-Buch, das mit seiner schweren Krebserkrankung (!) beginnt, führt durch viele philosophische Fragen, vor allem immer wieder zum Kern: „Wer bin ich?“

Und hier wird es natürlich interessant: Wenn ich sage, ich sei mit mir befreundet, dann schließt sich aus dieser Perspektive die Frage an: Wer ist mit wem befreundet? Wer von mir ist Subjekt und wer Objekt? Wer ist ICH?

Dazu einige Gedanken …

Ich war schon immer gerne alleine. Angst oder Unbehagen sobald niemand anderes in meiner Nähe ist, kenne ich nicht. So freute ich mich schon als Kind immer auf das Bett. Ich gehörte nicht zu den Kindern, die das Zubettgehen so lange wie möglich hinauszögern mussten. Im Gegenteil: Ich zog mich gerne zurück ins kuschelige eigene Bett.

Und auch heute genieße ich die Momente oder Stunden, in denen ich – auch vor körperlicher Erschöpfung – einfach entspannt daliege und „in mich versinke“. Oft denke ich, was für ein Glück ich habe, denn die Phasen der Erschöpfung werden sicherlich eher mehr. Und sie auf meine ganz intime Art genießen zu können, erleichtert natürlich alles.

Es geht aber auch noch weiter: Es ist nicht nur so, dass ich gerne Dinge alleine unternehme oder erlebe, sondern es bereichert mich. So wichtig und unersetzlich die Gesellschaft lieber und leibgewonnener Menschen für mich ist – aus dem Alleinsein schöpfe ich tiefe Erfüllung und habe immer das Gefühl zu profitieren und gestärkt zu werden.

Mit anderen Worten: Ich bin gerne mit mir zusammen, ich bin mit mir befreundet.

Aber wer ist hier nun Subjekt und was Objekt? Irgendwie hinkt das Bild an dieser Stelle. Vielleicht lässt es sich abgrenzen. Was nicht zutrifft, ist, dass ich jemand anderes sein möchte. Wohl auch begünstigt durch diese fantastische Reise seit meiner Krebsdiagnose merke ich, wie wohl ich mich in meinem Leben fühle. Sicher, der Körper macht so seine Probleme, aber meine Seele ist erfüllt von dem Sein, das ihr der Körper noch ermöglicht. Mit all den Sinneseindrücken, Erfahrungen und Gedanken, die mein Körper ihr gestattet.

Krank ist ja nur der Körper, nicht meine Seele. Und mein Eindruck ist, dass sie die körperliche Hülle immer wenige braucht. Klar, so ganz ohne geht es natürlich nicht. Und er bereitet der Seele ja auch eine Menge Freude. Aber schon im Israelitischen Krankenhaus hatte ich erstmals das Gefühl, mein Körper und meine Seele trennen sich ein wenig voneinander. Die Abhängigkeit von körperlicher Unversehrtheit schwindet.

Ich las gerade im Terzani-Buch von einem schönen Adjektiv, um zu beschreiben, wie es ihm, dem Autor geht: zufrieden. Das ist weniger als glücklich oder euphorisch, wenn es solche Höhepunkte auch nicht ganz ausschließt. Aber „zufrieden“ ist ein passendes Adjektiv, um auch meinen Grundzustand zu beschreiben: Ich bin in Frieden, ich kämpfe nicht mit Bildern, Erwartungen, Sehnsüchten.

Ich bin sehr zufrieden,

Gut, das löst jetzt noch nicht die Frage, wer mit wem befreundet ist und wieviele Persönlichkeiten ich denn bin. Aber vielleicht ist das auch zu linear gedacht. Mit der Zufriedenheit als Beschreibung meiner Grundstimmung kann ich gut leben,

Auf dieser Bank in der Nähe unseres Hauses auf Amrum saß ich morgens ab halb sechs, um der Sonne beim Aufgehen zuzusehen. Die sanften ersten Stunden des Tages sind immer sehr intim. Ich bin fast meditativ versunken im Augenblick. Der Tag ist noch ohne Ansprüche und einfach nur ein Geschenk. In diesen Stunden bin ich besonders zufrieden.

Neue Frage: Ist das egoistisch? Sich so sehr auf mich selbst zurück zu ziehen bedeutet ja auch, dass ich mich von anderen absetze, die Verbindung zu anderen Menschen lockere. Nein, ich meine nicht, dass es egoistisch ist. Es kommt ja auf die Mischung zwischen liebevoller Anteilnahme am anderen und der kontemplativen Abgeschiedenheit und Konzentration auf sich selbst an. Ich bin der Überzeugung, der Mensch kann nicht nur im intensiven Austausch innerhalb von Beziehungen leben, ohne diese auch in der Einsamkeit reflektiert zu haben. Die Auseinandersetzung mit Geschehenem ist im Gegenteil eine wichtige Voraussetzung für das Befrieden von Ansprüchen, Halbwahrheiten, Ränkespielen und dem ganzen Bumms auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten.

Mit regelmäßig eingestreuten Reflektionen finde ich mein Gleichgewicht wieder und erlange die herrlich Grundstimmer der Zufriedenheit,

Eine letzte Frage bleibt: Wenn alles im Leben das Jetzt ist, wenn das Immer eigentlich nur das Jetzt betreffen kann, wie kann ich dann befreundet sein mit mir. Aus was speist sich dieses Ich, wenn nicht aus der Vergangenheit? Bin ich die berufliche Position, die ich mr erarbeitet habe? Bin ich der schöne Körper, der andere betört hat? Bin ich der beliebte und bewunderte Mann, der so klug daher geredet hat? Der, mit dem man so anregend sprechen oder erleben kann?

Ich merke: Mit was ich befreundet bin, hat vielfach mit Vergangenem und damit eigentlich Irrelevanten zu tun. Zumindest ist das die große Gefahr: Menschen mögen sich aufgrund vergangener und damit irrelevanter Ereignisse. Der Abteilungsleiter, der Geschäftsführer, der Vater, der Leistende, der Erfolgreiche. Fällt solch eine Rolle weg verschwindet das Objekt. Wo ist der Freund hin?

Das empfinde ich allerdings anders: Meine Identität, ohne dass ich sie genau kennzeichnen oder umreißen könnte, ist, was ich mag. Und ich erlebe sie extrem gegenwärtig.

In meiner Identität spüre ich den Augenblick, das Jetzt, das Leben. Das macht mich zufrieden.

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Mitleid oder Alltag?

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Liebe alte Freunde