Statistik und Prognose

Die Zukunft ist schon ein merkwürdiges Konstrukt. Wir kennen sie nicht. Wir können sie gar nicht kennen. Denn sie ist ja noch nicht da, noch nicht real. Aber wir wollen nicht überrascht werden. Wir wollen die Kontrolle. Wir wollen Sicherheit in der Unsicherheit. Oder besser: Unsicherheit vertreiben mir Scheinsicherheit. Also systematisieren wir die Zukunft. Wir nutzen Erfahrung, Wahrscheinlichkeiten und Statistik mit dem Ziel, eine sichere Prognose – ein Widerspruch in sich – zu bekommen.

Das ist mit Krebs, gerade mit Krebs, auch so. Ist er tödlich? Wie lange habe ich noch zu leben? Der Patient wünscht sich sichere Antworten, der Arzt antwortet mit Statistik und Studien.

So war das auch bei mir im Februar 2023: Ich wollte am Ende der Untersuchungswoche von den Ärzten wissen, was mich erwartet. Wie es mit mir und der Krankheit nun weitergeht. Und die Ärzte haben geantwortet, haben mir allgemeingültige Informationen gegeben. Meine Prognose sei bei dieser Art von Krebs drei bis sechs Monate. Was für eine überschaubare Zeit. Drei bis sechs Monate. Das ist nicht viel. Für mich unvorstellbar und ein Schock. Wie es für jeden anderen Menschen auch gewesen wäre.

Sieht dramatischer aus, als es war. Über den Port bekam ich im Israelistischen Krankenhaus flüssige Nahrung und gleichzeitig über eine Kanüle noch Infusion. Mein Mund war so entzündet, dass ich orar nichts zu mir nehmen konnte. Haben wir aber in einer Woche wieder hinbekommen.

Aber mit Statistik ist das eben so eine Sache: Ich bin ein konkreter Datenpunkt. Die Statistik kennt nur Mittelwerte, Mindestabweichungen und Verteilungen. Ich als konkreter Datenpunkt habe mit diesen allgemeinen Werten nichts zu tun.

Das erkennt man ja schon daran, dass diese niederschmetternde Prognose nun schon 18 Monate her ist. Gelitten habe ich vor allem unter den Nebenwirkungen der Chemo, auch wenn diese sicherlich zu einer Dehnung der Lebenszeit geführt hat. Aber jedes Einzelschicksal ist eben anders und besonders.

Die Herausforderung besteht darin, sich eben nicht zu sehr an eine vermeintlich prognostizierbare Zukunft zu klammern. Mit Krebs kommt es anders als man denkt. Das ist eine der ersten Lektionen, die wir zu lernen haben. Für Menschen mit ausgeprägtem Kontrollwunsch ein ausgesprochen schweres Unterfangen.

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