Alles ist nicht mehr eitel

Ja, ich war schon ein hübscher Jüngling. Hier kam ich gerade aus einem wunderbaren Italienurlaub zurück. 21 Jahre alt. Eigentlich wollte ich mit meinem lieben Freund Martin gemeinsam verreisen. Doch wenige Tage vor der geplanten Abfahrt brach er sich den Arm. Weil ich aber durch meinen damals abzuleistenden Zivildienst gebunden war, fuhr ich mit meinem alten Mercedes /8 alleine. Es wurden die besten zwei Urlaubswochen!

Ich konnte zwar noch kein Italienisch sprechen, aber ich hatte von Ali einen Schlüssel zu seinem Haus in Bussana Vecchia, wo ich ein Jahr zuvor schon mit meinem Schulkameraden Harald gewesen war. Diese zwei Wochen im Süden, auch verbunden mit einer Hinfahrt durch die Provence, mit Schlafen im Auto, morgens Espressokochen auf dem Wagendach und wunderbaren Momenten des Glücks, waren eine innere Einkehr. Ich fühlte mich danach nicht nur erholt und gestärkt. Ich hatte darüber hinaus auch eine intensive Ahnung von Freiheit und Erwachsensein.

So kam ich also zurück nach Braunschweig mit dem Selbstbewusstsein, das ich auf diesem Foto ausstrahle. Meine Fotografin-Mutter hat den Augenblick großartig festgehalten.

Und ja, dass ich sehr eitel war, das sieht der Betrachte auch. Altersgemäß, würde ich sage. Ich war stolz auf meine Wirkung und genoss sie in jugendlichem Eifer.

Eitelkeit ist wohl keinem Menschen ganz fremd. Es ist nicht so, dass ich der Gefallsucht (=Eitelkeit) verfallen war. Aber es fiel mir leicht, mich an Äußerlichkeiten aufzurichten. Denn diese Äußerlichkeiten erzielten jeweils eine Wirkung auf andere.

Was als juveniler Mann selbstverständlich oder sogar obligatorisch ist, verliert im Laufe der Jahrzehnte die Leichtigkeit. Menschen um die 40 laufen an der Alster ihrem früheren Körper hinterher. Der verzweifelte Versuch, den gesellschaftlichen Anforderungen an Schönheit und Jugrendlichkeit äußerlich noch gerecht zu werden. Meist ist das Ergebnis tragisch und bemitleidenswert.

Mit einer Krebdiagnose ändert sich das aus mindestens zwei Gründen: Zum einen ist mein Körper zu sportlichen Leistungen und damit zu dem entsprechend muskulösen Körper gar nicht mehr in der Lage. Zum anderen streift der schwer Erkrankte aber all die Eitelkeit ab wie einen abgetragenen Mantel. Die Prioritäten verschieben sich so massiv, dass mich Merkmale wie Hamsterbacken durch Cortison oder Bauchansatz nicht im geringsten behelligen.

Im Gegenteil: Mein Onkologe gab mir auf meine Frage, ob ich beim Essen eine besondere Auswahl treffen müsse, die herrliche Antwort: „Und wenn Sie fünf Steaks am Tag essen – Sie haben die Aufgabe zuzunehmen. Essen Sie!“ Es geht mir also besser, wenn ich Gewicht zulege, auch wenn es nicht die Muskeln sind. Früher wog ich um die 80 Kilo, nun sind es dauerhaft zehn Kilo weniger.

Aber noch bemerkenswerter ist der eigentliche Aspekt der Gefallsucht: Wem soll, wem will ich denn in besonderem Maße gefallen? Und wie? Durch Äußerlichkeiten? Wie banal!

Mein Körper ist nicht mehr wichtig. Meine Eitelkeit bezieht sich dann eher auf solche Aspekte wie diesen Blog: Ich möchte eigene Erfahrungen und Gedanken teilen und andere Menschen inspirieren. Und ich wünsche mir, dass der Blog und seine Inhalte gefallen. Aber anders als mein jugendlich-schöner Körper vor 30 Jahren geht es nun um Tiefe.

Wie denkst du über deine Eitelkeit? Oder über meine? Bist du frei von Eitelkeit? Schreib es doch einfach in die Kommentare. Vielen Dank!

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„Komm’ für einen halben Tag oder für zwei Wochen!“

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Identität braucht Beziehungen